Südkorea auf der Überholspur nach Digitalien

Präsentation von Samsungs Galaxy S: Südkorea

Im Netz hängt Südkorea alle anderen ab. Kein Land ist so schnell auf der Datenautobahn unterwegs wie der ehemalige Tigerstaat. Unter perfekten infrastrukturellen Voraussetzungen entwickelt sich in Ostasien eine digitale Parallelwelt.

Von Malte E. Kollenberg, Seoul

Daten, Daten, Daten. Überall, 24 Stunden am Tag, fliegen virtuelle Informationen durch die Luft. Das IT-Unternehmen Cisco hat diesen Mittwoch eine Studie vorgestellt, der zufolge die Datenflut in den nächsten Jahren rasant steigen wird. Dem Global IP Traffic Forecast zufolge wird sich der globale Datenverkehr im Jahr 2015 verglichen mit dem Jahr 2010 vervierfacht haben. Die treibenden Kräfte hinter diesem rasanten Anstieg benennt die Studie ebenfalls: “Eine steigende Zahl von Geräten, Internetnutzern und Videoübertragungen sowie höhere Bandbreiten.” Demnach erhöht sich in Deutschland die Bandbreite von durchschnittlich 12 Mbit/s in 2010 auf 46 Mbit/s im Jahr 2015.

Südkorea ist schon heute viel weiter. Die durchschnittliche Breitbandverbindung bringt es dort mittlerweile auf 100 Mbit/s. In keinem anderen Land der Welt sind die Internetanschlüsse schneller als in Südkorea. Die Zukunftspläne des Landes gehen aber noch viel weiter: Bereits Ende 2012 soll in Südkorea eine Bandbreite von 1 Gbit/s Standard sein.

Aber auch in anderer Hinsicht hängt Südkorea Deutschland ab. Laut einer OECD-Statistik aus dem Jahr 2009 verfügen 99 Prozent der Koreaner über einen Breitband-Internetanschluss, in Deutschland sind es nur 95 Prozent der Bevölkerung. Ein Mobiltelefon hat sowieso eigentlich jeder Südkoreaner. Dem globalen Trend folgend wächst aber auch in Südkorea kaum ein Markt so rasant wie der für Smartphones. Der Unterschied zu anderen Ländern: Viele Koreaner freunden sich viel schneller mit neuer Technik an. Im März hat die Korea Communications Commission das Erreichen der Marke von zehn Millionen Smartphone-Nutzern bereits als den Eintritt ins “Smart Age” – ein neues intelligentes Zeitalter – gefeiert.

Das Leben in Südkorea ist vollständig von mobiler Digitaltechnologie bestimmt. Auch der 26 Jahre alte Germanistik-Student In Sae Yeol kann sich ein Leben ohne sein Smartphone gar nicht mehr vorstellen. “Das vereinfacht den Alltag ungemein”, sagt er begeistert. Jeden Morgen fährt er mit Bus und U-Bahn zur Uni. An der Haltestelle richtet er die Kamera seines Galaxy Tab auf den QR Code, eine Art Barcode über dem Busplan, und schon werden ihm aktuelle Informationen auf seinem Tablet-PC angezeigt. Mögliche Buslinien, welcher Bus als nächster kommt und wie viele Minuten er noch Zeit hat, um seine Geldkarte aufzuladen, zum Beispiel.

Nur mit aufgeladenem Chip kann man den öffentlichen Nahverkehr nutzen

Denn eine T-Money-Geldkarte ist Voraussetzung, um den öffentlichen Nahverkehr in Seoul benutzen zu können. Die Bezahlung läuft komplett Digital ab. Ein Papierticket? Seit Einführung des T-Money-Systems 2004 gibt es so etwas quasi nicht mehr. Am Eingang jeder U-Bahn-Station sind digitale Lesegeräte, die den RFID-Chip in der kleinen Plastikkarte oder dem Mobiltelefonanhänger auslesen. Nur wer den Chip vorher aufgeladen hat, für den öffnen sich die Drehkreuze, und er kann in die U-Bahn eintreten. Am Ziel angekommen wird die Karte beim Verlassen der Station wieder über das Lesegerät gezogen. Doch nicht nur U-Bahnen, auch Busse, Taxen und selbst die Nahverkehrsnetze in anderen Städten, beispielsweise der Hafenstadt Busan, lassen sich mit derselben T-Money-Karte nutzen. Damit nicht genug: Selbst beim Imbiss um die Ecke kann mit T-Money bezahlt werden.

Dabei war der Smartphone-Boom in Korea ursprünglich lange nicht so stark wie in Europa oder den USA. Erst mit dem reichlich späten Markteintritt des iPhone im November 2009 kam auch der koreanische Smartphone-Markt in Fahrt. Für Ende 2011 geht die Korea Communications Commission von einer Verdoppelung der Smartphone-Nutzer auf 20 Millionen aus. Die Anstrengungen der Koreaner zahlen sich aus. Im Networked Society Index des IT-Unternehmens Ericsson und der Unternehmensberatung Arthur D. Little, vorgestellt am 11. Mai 2011, rangiert Seoul mit Singapur und Stockholm auf den ersten drei Plätzen der am besten vernetzten Städte weltweit.

In Deutschland kaum genutzt, hat sich auch das Digital Media Broadcasting (DMB), das digitale Handy-Fernsehen, in Korea durchgesetzt. Zum einen ist die Technologie in Korea entwickelt worden, zum anderen gibt es kaum ein Gerät, das nicht mobiles Fernsehen unterstützt. Selbst das weltweit erhältliche Samsung Tablet Galaxy Tab ist in Korea mit einem DMB-Empfänger erhältlich. Wer auf dem Weg zur Arbeit oder in die Uni nicht Nachrichten auf dem Smartphone liest oder mit Freunden chattet, der sieht fern. Telefoniert wird mit dem Telefon eigentlich kaum noch.

Parkleitsystem für Hörsaalplätze

Smartphone oder Tablet gehören in jeder Situation dazu. In der Universität angekommen holt Sae Yeol wieder sein Galaxy Tab heraus. Er will in die Bibliothek. Eine App zeigt ihm in Echtzeit, in welchem Lesesaal noch Plätze frei sind. Die Anzeige auf dem Smartphone-Bildschirm funktioniert im Grunde wie ein Parkleitsystem. “Ganz nett” findet das Choi Jun Ho, Direktor des User Experience Lab an der Yonsei Universität. “Aber der App- und Software-Markt in Korea hinkt anderen Teilen der Welt noch etwas hinterher”, sagt er.

Eine echte Killer-Applikation für Korea sieht er bisher nicht. “Nehmen sie QR-Codes. Das hat zwar Potential, und wir werden davon noch mehr sehen, als es ohnehin schon gibt, aber die Leute wollen mehr als automatisiert auf eine Internetseite gelenkt werden.” Angebote wie QR-Codes oder ortsbezogenen Dienste wie Foursquare werden zukünftig noch stärker mit anderen, beispielsweise Twitter und Facebook, verknüpft werden, ist sich Choi sicher.

Kostenloser SMS-Chat

Eine Applikation, die vielleicht gerade dabei ist, Koreas Facebook zu werden, ist Kakao Talk. Im Grunde ist das kleine Programm nichts anderes als ein SMS-Dienst. Wichtigster Unterschied zur herkömmlichen Textnachricht: Die Kakao-Talk-Nutzung ist kostenlos. Nicht einmal die App kostet etwas. In 14 Monaten hat es die kleine Software-Firma mit ihrem Programm auf 14 Millionen Nutzer gebracht. Koreanische Internetportale wie Naver oder Daum, die in Korea ähnliche Services wie Google anbieten, haben reagiert und mittlerweile Sprachservices in ihre Applikationen integriert. Kakao Talk bleibt bisher bei der simplen Textnachricht mit Foto oder Videoanhang. “Stabilität und eine angenehme Nutzererfahrung sind erst mal das Wichtigste”, erklärte der Kakao-Talk-CEO Lee Je Beom beim Seoul Digital Forum.

Die Benutzerzahlen geben Kakao Talk recht. Auch In Sae Yeols Kommunikation findet mittlerweile fast ausschließlich über den Nachrichtendienst statt. Kurz bevor der Student in der Bibliothek angekommen ist, hat ihm ein Kommilitone geschrieben und gefragt, wo sie zusammen lernen wollen. Mit dem Tablet-PC hat er nach freien Plätzen geschaut. Jetzt treffen sie sich im Computerraum. Drei Plätze sind noch frei, oder wie es die App ausdrückt: 10,3 Prozent.

Quelle: Spiegel-Online.de

 

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