Sehr gutes Interview zum Thema: Massentrauer in Nordkorea

Nordkorea trauert – deutlich demonstrativer als hierzulande üblich. Experte Werner Pfennig sieht darin ein Zeichen tiefer Verunsicherung. Mit dem “geliebten Führer” haben die Menschen Kontinuität verloren. Doch die pompöse Parade könnte das Land die letzten Reserven gekostet haben.

SPIEGEL ONLINE: Die Menschen schluchzen, jammern und wehklagen um ihren toten Anführer in Pjöngjang. Wie echt ist denn die Trauer um Kim Jong Il, die uns die Staatsmedien aus Nordkorea zeigen?

Pfennig:Ich glaube, bei der Mehrheit der Menschen in Nordkorea herrscht nach dem Verlust der Bezugsperson Kim Jong Il große Verunsicherung und Zukunftsangst.SPIEGEL ONLINE: Der Ex-Diktator hat sein Land mit harter Hand geführt, die Trauer wirkt in unseren Augen grotesk.

Pfennig: Wir sollten das nicht belächeln. Das Zeremoniell geschieht in einer anderen Welt. In Nordkorea herrscht ein System, bei dem einer oben an der Spitze steht. Der ist ohne Vorwarnung, ohne langen Krankenhausaufenthalt plötzlich gestorben, und die Leute wissen nicht, wie es weitergehen wird. Deshalb gibt es ein großes Gefühl der Verunsicherung, da hilft es, in der Masse Trauer zu zeigen.

SPIEGEL ONLINE: Wie wichtig ist dieser Trost im Kollektiv?

Pfennig: Das Kollektiverlebnis ist in einer solchen Schocksituation mentale Stütze, gibt das Gefühl: Wir kommen da gemeinsam durch. Dazu muss man wissen, dass in Nordkorea die Gesellschaft militärisch durchorganisiert ist. Es herrscht das alte konfuzianische Prinzip: Der einzelne kann sich – anders als bei uns – nur in der Gesellschaft voll verwirklichen.

SPIEGEL ONLINE: Inwieweit sind die Menschen nur Statisten bei der Inszenierung des Regimes?

Pfennig: Das ist schwer zu sagen, ich glaube nicht, dass sie bezahlt sind. Die Elite des Landes und die Anzahl derjenigen, die vom Regime profitieren, ist relativ groß. Es gibt Schätzungen, nach denen drei bis vier Millionen der 25 Millionen Nordkoreaner dazugezählt werden können – und die haben nun viel zu verlieren. Die nehmen sicherlich freiwillig an dem Trauerumzug teil.

SPIEGEL ONLINE: Und die anderen?

Pfennig: Bei den Bildern der aufgereihten Trauernden ist mir aufgefallen, dass sie häufig schnell nach links und rechts blicken, als ob sie prüfen wollten: Bin ich noch synchron, trauere ich genauso intensiv wie meine Nachbarn. Es wirkt ein bisschen wie ein Trauerwettbewerb, wobei ich das nicht ins Lächerliche ziehen will. In Nordkorea herrscht ein System, in dem die Mehrheit der Bevölkerung kaum etwas über das Ausland weiß und fast nur Unterordnung, Gehorsam und leider auch Hunger kennt.

SPIEGEL ONLINE: Welchem Muster folgt die Inszenierung des Trauerzugs?

Pfennig: Bei der Trauerfeier überlässt das Regime nichts dem Zufall. Die Parade folgt einer geschickten Choreografie. Allein wie die Menschen platziert wurden: mal in Massen, mal in kleineren Gruppen, Frauen, Männer abwechselnd, Männer in Zivil, dann in Uniform, Kinder, die weiße Blumen niederlegen – das ist genau geplant.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es Vorbilder für die pompöse Parade?

Pfennig: Die Zeremonie ist an jene für Kim Jong Ils Vater, Kim Il Sung, angelehnt. Was damals 1994 zelebriert wurde, ist der heutigen Feierlichkeit sehr ähnlich: Große Fotos des verstorbenen Machthabers, Militärblöcke und weinende Menschen entlang der Straßen. Aufgefallen ist mir, dass neben dem Wagen, auf dem der Sarg transportiert wurde, nicht nur der große Nachfolger Kim Jong Un, sondern auf der anderen Seite des Fahrzeugs auch der Chef der Streitkräfte lief – und beide auf gleicher Höhe. Das finde ich interessant.

SPIEGEL ONLINE: Warum?

Pfennig: Der große Nachfolger hätte ja auch mehrere Schritte voran laufen können.

SPIEGEL ONLINE: Was schließen Sie daraus für die Zukunft?

Pfennig: Ich will nicht spekulieren. Klar ist: Der friedliche Machtwechsel hat stattgefunden, und Nordkorea wird künftig nicht mehr von dem einen Führer, sondern von mehreren bestimmt. Kim Jong Un ist zwar das Gesicht an der Spitze, aber auch das Militär, sein Onkel und vor allem seine Tante haben Einfluss. Sie alle werden sich abstimmen, verkünden wird die Beschlüsse nach außen Kim Jong Un.

SPIEGEL ONLINE: Wie populär ist der Nachfolger von Kim Jong Il?

 

Pfennig:Er ist der Bevölkerung erst seit knapp drei Jahren bekannt, 2008 wurde er von seinem Vater Kim Jong Il vorgestellt. Seitdem ist der etwa 28-Jährige auf fast allen Fotos mit zu sehen. Dabei ist er merkwürdig ausstaffiert, die Haare sind über den Ohren wegrasiert, damit er aussieht wie der Großvater. Das soll Kontinuität zeigen: Erst war der Opa, dann der Papa, nun ist der Enkel an der Macht. Kim Jong Un hat alle Ämter seines Vaters übernommen – außer dem Parteivorsitz. Damit wird sicher noch bis Mai oder Juni kommendes Jahres gewartet, Mitte April findet erst einmal der hundertste Geburtstag seines Großvaters statt. Das wird spannend.SPIEGEL ONLINE: Was erwartet uns da?

Pfennig: Die gigantische Trauerfeier für Kim Jong Il war nicht billig, nun sind die Ressourcen erst einmal aufgebraucht. Allein der Ausfall durch die Tage der Staatstrauer, während der die Wirtschaft stillstand, ist enorm. Die Ernte war in diesem Jahr schlecht. Und der hundertste Geburtstag von Kim Il Sung im April soll groß gefeiert werden. Dann muss sein Enkel Kim Jong Un der Bevölkerung etwas zu essen und zu feiern geben. Wenn die Volksrepublik China ihm da nicht hilft, dürfte es zu Verteilungskämpfen innerhalb der Elite kommen.

Das Interview führte Christina Hebel

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,806115,00.html

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