Heute reposte ich mal wieder einen sehr gut geschriebenen Artikel von meiner Deutschen Expad-Kollegin Gitte. Besser haette ich das nicht schreiben koennen. Nun ja sie studiert auch Koreananische Litertartur… Besucht mal ihren Blog, Seoulmate. Er ist ein wenig ernster geschrieben als meiner, lohnt sich aber auf jeden Fall in in der RSS feed zu packen.
Der ehemalige südkoreanische Präsident Roh Mu Hyun ist, wie man auch auf Spiegel Online erfahren kann, tot. Selbstmord nach der Aufdeckung von Korruption. So groß war die Schande und die nachfolgende öffentliche Reue, dass er sich nicht mehr die Haare schwarz färbte.
Mein aufrichtiges Beileid an seine Familie und an die Bürger Koreas.
Dieser Fall gäbe einmal Gelegenheit, über den Stellenwert von Selbstmord in der koreanischen Gesellschaft nachzudenken. Schaut man sich die Daten der WHO dazu an, so steht Korea weltweit insgesamt an 10. Stelle, bei den Frauen sogar an zweiter Stelle. Japan folgt einige Plätze weiter hinten, die Zahlen sind aber sehr ähnlich. Das heißt, dass Südkorea unter den OECD-Staaten die höchste Selbstmordrate hat. Unter 100 000 Menschen wählen im Jahr durchschnittlich 26 Menschen den Selbstmord, in Deutschland sind es 13.
Greift hier allein der Verweis auf den Gesichtsverlust? Im Falle Rohs und der vielen anderen prominenten Opfer wie Filmstars, deren Selbstmorde mit beängstigender Regelmäßigkeit in der Presse gemeldet werden, greift das sicher, zumindest zum Teil. Aber ob dies auch der Grund für die Selbstmorde der Menschen von nebenan, für Teenager und Studenten und den kleinen Angestellten ist? Vielleicht ist es da eher der große Druck, gut zu sein in Schule, Universität und Firma, etwas zu erreichen, besser zu sein als die anderen, in eine angesehene gesellschaftliche Stellung zu kommen, den Kredit für die Wohnung abzubezahlen, den von der Gesellschaft erwarteten Lebensweg von Universität, Hochzeit, Kinder glatt durchzuziehen.
Oder sind es auch nicht sie, die die Selbstmordrate so in die Höhe treiben? Ein Artikel, der bei Ohmynews! erschienen ist, deckt nämlich noch ein anderes Dilemma auf: psychische Erkrankungen. Und damit sind so “einfache” Dinge — mit einfach meine ich: behandelbar — wie Depressionen gemeint, für die es weder ein Konzept der medizinischen Behandlung noch der psychologischen Betreuung gibt in diesem Land.
[Update] Wer die Bilder der landesweiten Trauerfeiern sieht, fragt sich vielleicht, warum normale Menschen weinen und zutiefst trauern, wenn sich ein Ex-Präsident umgebracht hat. Ich will nicht im Ansatz versuchen, darauf eine Antwort zu geben, sondern nur ein paar Gedankenanstöße.
Erstens ist Roh einer “von unten” gewesen, einer, der nicht in eine Elite hineingeboren wurde, nicht einmal auf eine Universität ging, sondern autodidaktisch für die Anwaltsprüfung gelernt hat. Die Erwartungen und Hoffnungen gerade der jüngeren Generation bei seiner Wahl waren so ähnlich wie bei der Wahl Obamas in den Staaten. Nur dass Roh sehr bald enttäuschte. Die Enttäuschung gipfelte im Bekanntwerden der Korruptionsaffäre nach dem Ende seiner Amtszeit, die natürlich längst nicht aufgeklärt ist. Sie wird es auch nie werden, denn ein Gesetz sagt, dass beim Todesfall des Angeklagten das Verfahren eingestellt wird. (Ich zitiere hier meine Mitbewohnerin, man muss mir das nicht glauben.) Und so ist es auch hier. Im Grunde, so könnte man mit böser Zunge behaupten, hat Roh verhindert, dass jemals ans Licht kommt, ob er von den vielen Millionen Dollars wusste, die seiner Familie zugespielt wurden. Er selbst stritt es stets ab. Und stürzte sich von einer Klippe.
Zweitens, aber hier begebe ich mich auf dünnes Eis, tritt hier wieder das Wir-Gefühl der Koreaner in Kraft. Man fühlt sich Roh verbunden, eben wegen all dieser Hoffnungen, die man einst an ihn geknüpft hatte. Die Hoffnung, dass es auch jemand schafft, der nicht in gute Verhältnisse geboren wurde. (Ein Einzelfall wie dieser setzt allerdings kaum einen Trend in Gang.) Meine Mitbewohnerin sitzt vor dem Fernseher und ihr stehen Tränen in den Augen. Sie fliegt morgen nach Italien und ärgert sich, dass sie nicht die Übertragung der Trauerfeier und das Geschehen überhaupt wird live verfolgen können. Draußen höre ich Musik wie von einem Trauergottesdienst, vielleicht hat mein Stadtbezirk am Fuße des Gwanak-san eine Trauerfeier auf die Beine gestellt.
Da, wie gesagt, es eine Grundeigenschaft von Koreanern ist, gern von anderen Menschen umgeben zu sein, und da die Zurschaustellung der Trauer ein gesellschaftlich anerkannter Affekt ist, sehen wir die Bilder, wie wir sie sehen.
Und warum sind die Menschen nicht wütend, enttäuscht und verletzt, weil sich ein Verantwortungsträger der Gesellschaft einfach seiner Verantwortung entzogen hat? Den man als Präsidenten gewählt hat, weil solche Menschen über einen gefestigten Charakter verfügen, der den des Durchschnittsbürgers übersteigt, und der nun gezeigt hat, dass er den eben nicht hat? Das ist für mich unbeantwortbar. Vielleicht, weil jeder die Schande, die Verletzung der Ehre, den Gesichtsverlust nachvollziehen kann? Selbstmord nicht als Tat verstanden wird, deren Entscheidung man selber fällt, sondern zu der man getrieben und gezwungen wird, und an der somit “die Anderen” die Schuld tragen? Keine Ahnung.
Vielen Dank Gitte
hey felix, klar, geht in ordnung. danke fuer die “aufnahme” in deine blogroll. vielleicht sollte ich so eine auch mal anlegen und nicht weiterhin internethermit bleiben…
gruesse auf den huegel hoch!
gitte