(Source: www.spiegelonline.de)
Science-Fiction-Krieg in Südkorea: Das Echzeitstrategiespiel “Starcraft” ist hier Volkssport, Profis sind gefeierte Stars. Die Fans tragen Schuluniform, die Spieler reden wie Fußballer. In “Starcraft II” tritt Koreas Gamer-Elite nun erstmals gegen eine Welt-Auswahl an.
Aleksy Krupnyk, in der “Starcraft”-Szene unter seinem Pseudonym “WhiteRa” bekannt, starrt besorgt auf den Bildschirm. Enttäuscht muss der ukrainische Kapitän der Weltauswahl zusehen, wie der koreanische Gegenspieler seinen Teamkollegen überrennt. Nach zwanzig Minuten steht es eins zu null für Südkorea.
Die koreanischen Fans sind außer Rand und Band. Die größtenteils in Schuluniformen gekleideten Zuschauer machen Lärm wie Fußballfans beim Lokalderby. Für einen Außenstehenden wirkt befremdlich, dass sich die Aufmerksamkeit lediglich auf einen Bildschirm richtet. Denn gespielt wird hier digital: An 28. März begann in Seoul die erste “Starcraft II”-Weltmeisterschaft – oder doch zumindest so etwas Ähnliches. Südkoreas Rolle im Wettkampfsport “Starcraft” der Königsdisziplin des digitalen Sports, war bislang in etwa vergleichbar mit der der USA im Basketball – die Koreaner gewinnen nicht immer, aber ziemlich oft. Das Motto des Wettkampfes lautet deshalb: “Korea vs. The World”. Die acht besten Spieler aus Südkorea treten gegen eine achtköpfige Weltauswahl an. Zu gewinnen sind insgesamt 100.000 US-Dollar. Das Finale findet am 9. April statt.
Terraner gegen Würmer
Die Spieler steuern in beiden “Starcraft”-Teilen jeweils eine Rasse, die menschlichen Terraner, die entfernt menschenähnlichen Protoss oder die wurmförmigen Zerg. Auf fernen Planeten müssen Truppen aufgebaut und dirigiert, Angriffe organisiert und Verteidigungslinien gehalten werden – unter Zeitdruck. Die spielerische Balance zwischen den drei Rassen, die gewissermaßen die Schachfiguren des Science-Fiction-Spiels stellen, gilt als eigentliche Stärke des ursprünglichen “Starcraft”.
Heute wird in einem Tempo und mit einer Intensität gespielt, die es Nichteingeweihten völlig unmöglich macht, eine Live-Partie auch nur ansatzweise nachzuvollziehen. Ganze Fernsehsender haben sich in Korea auf E-Sport spezialisiert und senden rund um die Uhr ein Match nach dem anderen. Die besten Spieler in Korea sind Leistungssportler mit Sponsoring-Verträgen und Hunderttausenden von Fans. Manche verdienen pro Jahr sechsstellige Summen. Und nun sollen Sie auf ein neues Spielfeld umsteigen.
“Im Vergleich zu ‘Starcraft I’ ist Teil II momentan noch ein kleines Baby”, sagt Emil Kalaidzhiev. Der 19-Jährige Bulgare studiert in Seoul Koreanisch – und auch ein bisschen “Starcraft”. Während international “Starcraft II” längst auf breite Akzeptanz stößt, ist in der dominierenden koreanischen Szene Teil I noch immer das Maß der Dinge. Dabei ist das weltweit meistverkaufte Echtzeitstrategiespiel bereits seit 1998 auf dem Markt und gilt mittlerweile als digitale Antiquität. Dem Hersteller Blizzard Entertainment ist natürlich daran gelegen, dass der Oldie langsam abgelöst wird.
“Starcraft” ist zeitlos wie Jazz
“Damit die ‘Starcraft II’-Szene in Korea weiter wachsen kann, müssen mehr bekannte Stars zum zweiten Teil wechseln”, findet Emil Kalaidzhiev. Beim Internetsender GOM TV ist man der gleichen Meinung und möchte mit der Weltmeisterschaft die Popularität des Spiels in Korea steigern. Dafür hat der Sender die besten Spieler aus Amerika, Europa und Asien für das Turnier einfliegen lassen.
Aleksy blickt wie die anderen Spieler der Weltauswahl auf eine lange Karriere als Science-Fiction-Stratege zurück. Vor über zehn Jahren hat der 30-jährige mit dem ersten Teil des Strategiespiels angefangen. Noch heute gerät er ins Schwärmen, wenn er über das 13 Jahre alte Original spricht: “Es ist wie Jazz – einfach zeitlos.” Dennoch ist “WhiteRa” mit der Veröffentlichung von “Starcraft II” im Sommer 2010 zum Nachfolger gewechselt.
Das hat auch mit seinem vergleichsweise hohen Alter zu tun, denn bei “Starcraft II” kommt es nicht so sehr auf eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit, sondern mehr auf taktisches Feingefühl an. “Zwei bis drei Jahre habe ich mindestens noch”, glaubt der Altmeister. Doch auch nach dem Ende seiner Spielerkarriere will der Ukrainer dem Cybersport in irgendeiner Form erhalten bleiben – ob als Entwickler für Mousepads, Keyboards oder Turnierorganisator. Wer Profi war, will im Geschäft bleiben – da unterscheidet sich “Starcraft” nicht von Fußball.
Welt schlägt Korea
Bei der WM in Seoul ist wieder ein Match vorbei: Mit Tastatur und Maus unter dem Arm verlässt ein niedergeschlagener Koreaner die Computerbox. Yang Chia-cheng aus Taiwan triumphiert. Die Weltauswahl hat nach dem zweiten Spiel gleichgezogen.
Im Hintergrund läuft zur Spielpause eine Licht- und Feuerwerksshow. Der Amerikaner Erik Lonnquist zückt sein Smartphone und twittert das Zwischenergebnis, für seine Fangemeinde am anderen Ende der Welt. Heute sitzt er als Zuschauer im Publikum, eigentlich kommentiert er Spiele für GOM TV. “Shoutcaster” werden die Computerspiel-Kommentatoren genannt, die zuweilen selbst kleine Stars geworden sind. Wenn Lonnquist über das Spielgeschehen spricht, können nur noch “Starcraft”-Insider der Fachsimpelei folgen. “Die Koreaner sind sicherlich die Favoriten für das Turnier, aber ich gebe auch dem World-Allstar-Team eine Außenseiterchance”, sagt der 28-Jährige. “Beim ersten Teil konnten es nur die wenigsten ausländischen Spieler mit den Koreanern aufnehmen. Aber das ändert sich langsam.”
Der Teamsieg für die Ehefrau
Mit seiner Einschätzung behält Lonnquist Recht. Die Weltauswahl gewinnt nach vier aufregenden Stunden gegen die Koreaner mit vier zu zwei. Dass es sich bei “Starcraft” um echten Leistungssport handelt, ist den Spielern anzusehen. Die Koreaner sind erschöpft, Amerikaner und Europäer haben zusätzlich noch mit dem Jetlag zu kämpfen. Ab dem zweiten Spieltag geht es nach dem KO-System weiter. Ab jetzt spielt jeder für den eigenen Ruhm und die 30.000 US-Dollar, die dem Erstplatzierten winken.
Auch Aleksy Krupnyk träumt davon, mit dem Preisgeld in die Ukraine zurückzukehren. Bevor es in die nur einen Steinwurf von der Arena entfernte Teamunterkunft geht, gibt er den wartenden Journalisten noch ein letztes Interview. Während hinter ihm die Lichter ausgehen und die “Starcraft”-Arena aufgeräumt wird, lächelt der sonst so unnahbar wirkende Teamkapitän in die Kameras und widmet den ersten Sieg seiner daheimgebliebenen Ehefrau: “Sie hat mich immer bei meiner E-Sport-Karriere unterstützt. Ohne sie wäre ich jetzt gar nicht hier.” Noch so ein Fußballersatz.