Südkoreas neuer Regierungssitz

Alleine in Sejong City

Von Malte E. Kollenberg, Seoul

Sejong City ist Südkoreas ganzer Stolz. Die Retortenstadt, die 2030 fertig wird, soll neuer Regierungssitz und kulturelles Zentrum des Landes werden. Käufer reißen sich schon jetzt um die winzigen Wohnungen. Doch selber leben will dort kaum jemand.

Park Yu Jun ist eine Frohnatur. Ununterbrochen lächelt der 36-jährige Ministerialbeamte. Von seinen Kollegen wird er als “Comedian” bezeichnet. Ein wenig skurril muss es auch gewesen sein, als Park Ende 2011 vom nahe Seoul gelegenen Regierungsviertel Gwacheon ins 120 Kilometer entfernte Sejong City gezogen ist. Als erster Mitarbeiter eines Ministeriums überhaupt.

“Morgens im Shuttle-Bus von Sejong City nach Gwacheon fuhr ich alleine mit dem Busfahrer”, erklärt Park. Er war einer der ersten Einwohner in Koreas Stadt der Zukunft.

Zukunft ist wörtlich zu nehmen, denn bisher existiert lediglich das “Cheot Maeul”, das erste Dorf, des 20 Milliarden Dollar teuren Projekts. Drumherum staubige Straßen, Baustellen, Sand und Einöde. Mitten im Herzen Südkoreas wird die neue Regierungsstadt errichtet. Am Sonntag steigt trotzdem schon einmal die offizielle Eröffnung.

Eine halbe Million Menschen sollen im Jahr 2030 in Sejong City leben. So will es die koreanische Regierung. Dass dieses Ziel erreicht wird, daran arbeitet Lee Jae Kwan. Er ist Direktor der Planungsabteilung im Ministerium für öffentliche Verwaltung und Sicherheit, die für den Ausbau der Stadt zuständig ist. Doch die aktuellen Einwohnerzahlen, die er präsentiert, sind ernüchternd. “6000 Einwohner sind bisher zugezogen, davon ein Fünftel aus Seoul. 2014 werden 10.000 Regierungsmitarbeiter und 3000 Wissenschaftler und Forscher in Sejong City arbeiten”, sagt Lee.

Die Pläne für Sejong City gehen auf den vorherigen Präsidenten Südkoreas Roh Moo Hyun zurück. Um der fortschreitenden Zentralisierung in Seoul zu begegnen, sollte eine Regierungsstadt gebaut werden.

Eine gute halbe Dekade und mehrere Gerichtsentscheidungen später klingt das nicht mehr ganz so ambitioniert. Nur noch ein Teil der politischen Elite Koreas soll aus Seoul hierher verpflanzt werden. Stattdessen entsteht eine Stadt, in der Teile des politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und akademischen Lebens vereint werden sollen.

Neun Ministerien, zwei Regierungsbüros, zwei Regierungsagenturen und 16 staatliche Forschungsinstitute werden dann in der Stadt angesiedelt sein. Dazu Museen, Theater und Konzerthallen sowie akademische und wissenschaftliche Top-Einrichtungen. Lee Jae-kwan bringt es auf den Punkt: “Es geht um die harmonische Entwicklung in Südkorea und eine Entschärfung der Zentralisierung aller wichtigen Einrichtungen in Seoul.”

60.000 Bewerber für 824 Wohnungen

Wer sich letztlich in Sejong City langfristig niederlassen wird, ist jedoch noch überwiegend unklar. Bisher bietet die Stadt außer ein paar Restaurants und Maklerbüros nicht viel. Nur knapp 20 Prozent der Zugezogenen stammt tatsächlich aus Seoul. Die meisten Bewohner sind aus den direkt angrenzenden Gegenden nach Sejong City gekommen. Aus der Hauptstadt werden vor allem Berufspendler erwartet, die während der Woche in Sejong City leben und am Wochenende zurückfahren zu ihren Familien.

Diese Pendler sind die Hauptkunden von Kim Seok Ho. Kim ist Wohnungsverkäufer, trägt Gelfrisur, grauen Anzug und Krawatte. Er muss seriös auftreten, denn er bringt Wohnungen, die es bisher noch gar nicht gibt, an Frau und Mann. Große Probleme hat er dabei trotzdem nicht – im Gegenteil.

Wer in den Ausstellungsraum kommt, hat das große Los gezogen. Im wahrsten Sinne des Wortes: “Ich hätte auch gerne eine Wohnung gekauft, aber ich hatte kein Glück”, erklärt Makler Kim Seok Ho. “60.000 Bewerbungen für 824 Wohnungen sind bei uns eingegangen.” Das Los hat entschieden, wer eine Wohnung kaufen darf. Kim hat es nicht getroffen. Er verkauft nun, was er selber gerne hätte.

“Happy City” mit Startschwierigkeiten

Es sind vor allem die winzigen Wohnzellen, die heiß begehrt sind. Dabei hat kaum ein Käufer vor, selber in die Stadt zu ziehen. Sie wollen in Seoul oder dem nur wenige Kilometer südlich der neuen Stadt gelegenen Daejon wohnen bleiben – und dabei ordentlich abkassieren. Menschen, die nur zeitweise in Sejong City leben, sollen die kleinen Zweitwohnungen mieten. Zu saftigen Preisen.

Der Großteil der Apartments ist lediglich rund 25 Quadratmeter groß. Die Preise liegen 50 Prozent unter denen in der Hauptstadt. In Sejong City sind die Wohncontainer schon ab 90 Millionen koreanischen Won zu haben. Das entspricht rund 60.000 Euro. Wer kauft, geht von einer goldenen Zukunft der Stadt aus – enorme Preissteigerungen der Apartments inklusive.

Makler Lee Gil Su macht in jedem Fall ordentlich Werbung, während er mit einem Investor beim Kaffee ein Projekt bespricht. “Die geografische Lage von Sejong City ist sehr gut. Es liegt genau in der Mitte des Landes. Mehr und mehr Leute werden kommen. Die Lebensqualität wird steigen. Für mich bedeutet das, es werden Werte geschaffen.” Der Makler verkauft eine Zukunft, von der die Stadt noch weit entfernt ist.

Selbst Pionier Park Yu Jun muss zugeben, dass natürlich nicht alles perfekt ist in der Stadt. Oder besser: noch nicht. Am Anfang hätten er und seine Familie sich etwas einsam gefühlt. Doch seit sie sonntags in die Kirche gingen, sei das anders geworden. Sie hätten Freunde gefunden und würden viel mehr unternehmen, seit sie in Sejong City leben. Gerne redet Park nicht über die Startschwierigkeiten. “Mein Motto ist, positiv zu bleiben”, grinst er. Er und seine Familie seien glücklich, dann fügt er hinzu: “Sejong City ist für uns die ‘Happy City’.”

 

Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/suedkorea-neue-regierungsstadt-sejong-city-eroeffnet-am-1-juli-a-841245.html

 

2 thoughts on “Südkoreas neuer Regierungssitz

  1. Als bestes und warnendes Beispiel sollte man hierzu sicher die (mislungene) Retortenstadt “Brasilia” erwähnen.
    Man pflanzt ins nichts eine dezentralisierte Wohnumgebung, die mehr Skulptur als Funktion darstellt. Auch Seoul, Busan und sicher auch Daejun ist nicht rein zufällig an dem Ort gegründet worden, wo die Städte heute stehen. Bei all den Planungen und der Schönmalerei muss man sich aber auch bezüglich der Städteplanung gedanken machen. Wie entwickelt sich die Stadt bis ins Jahr 2060? Welche Szenarien werden berücksichtigt oder ist es bei einer derart straff durchgeplanten Megastadt überhaupt möglich, dass diese auf Veränderungen (vor allem die Schnelligkeit, die Korea in Kultur und Wirtschaft in den letzten Jahren erfahren hat) reagieren kann. Fährt man im gesamten Land sieht man ein sich immer wieder wiederholendes Bild: Dicht an dicht gedrängelte Hochhausappartments, deren Individulität lediglich durch die Nummerierung gegeben ist. Und rund um diese 15 – 20 Hochhausbauten sieht man lediglich NICHTS!… Einöde. Bestenfalls ein Shopping Center. Auch Brasilia ist durch die Anonymität derer die Bewohner ausgesetzt waren, schlecht verkaufbar gewesen. Lässt man den Menschen keinen Spielraum für Individualität und engt man sie in derer freien Entfaltung durch vorgegeben starren Paradigmen ein, wird er es niemals frei annehmen können. Auch Manhattan kann sich kaum bewegen, ist doch die maximale bebaubare Fläche schon längst ausgenutzt, trotzdem ist es nicht einmal halb so starr wie die heutigen durchgeplanten Wohnlandschaften – ohne Möglichkeit auf Veränderung des Landes oder der Bewohner zu reagieren.

  2. Pingback: Südkoreas neuer Regierungssitz | Wolfi Esther

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